Ein Jahr danach: Wie Aktivisten auf die Revolution im Sudan blicken

Sudans Präsident Al-Baschir saß vor einem Jahr noch fest im Sattel. Doch eine unvorstellbare Protest-Welle und das Militär haben ihn 2019 aus dem Amt gejagt. Nach dem turbulenten Jahr sind die Demonstranten erfüllt mit Stolz, Hoffnung - und Zukunftsangst.

Khartum (dpa) - Vor einem Jahr war kaum vorstellbar, was für ein Wandel dem Sudan bevorsteht. Als am 19. Dezember die ersten großen Proteste ausbrachen, war das verarmte Land im Nordosten Afrikas fest im Griff von Machthaber Omar al-Baschir. Monate später wurde er von der Armee gestürzt. Nun herrscht dort aber keine Militärdiktatur - stattdessen hat das Land seine erste wirkliche Chance auf Demokratie seit 30 Jahren.

Das ist so dank der Demonstranten - vor allem auch der Sudanesinnen, die in großer Zahl auf die Straße gingen. Frauen hatten während der Proteste am meisten zu verlieren und am meisten zu gewinnen. Heute blicken sie mit Stolz, Angst und Hoffnung auf das turbulente Jahr 2019, und darauf, was 2020 mit sich bringen wird.

«Die Revolution ist noch nicht gelungen, sondern geht weiter», sagt Alaa Salah, die Ikone der Protestbewegung. Die 22-jährige Studentin war eine von Zehntausenden, die täglich in dem Protestlager vor dem Armee-Hauptquartier in Khartum erst gegen den Präsidenten, dann gegen die Armee demonstrierten. Fotos und Videos von ihr gingen um die Welt und verwandelten sie zur Symbolfigur der Proteste. Darin stand sie in einem traditionellen weißen Gewand auf einem Autodach und rief Parolen, mit ihrem Finger in die Luft gestreckt. Die Menge rief zurück: «Thaura» - «Revolution».

Al-Baschir kam 1989 selbst durch einen Putsch an die Macht und regierte das Land mit den rund 42 Millionen Einwohnern fast 30 Jahre lang mit harter Hand. Oppositionsarbeit wurde eingeschränkt, die Zivilgesellschaft gedrosselt, Kritiker inhaftiert. Nach einem blutigen Konflikt spaltete sich 2011 der Süden ab. Und der Sudan wurde mit Sanktionen belegt und international isoliert. Zum Verhängnis wurde Al-Baschir letztendlich eine schwere Wirtschaftskrise: Ende 2018 trieben der Anstieg von Brot- und Benzinpreisen Tausende auf die Straßen.

Als das Militär den Staatschef im April absetzte, gaben sich die Demonstranten damit aber nicht zufrieden. Sie wollten kein altes Regime in neuer Gestalt. Die Demonstrationen gingen weiter, bis Sicherheitskräfte das Protestlager in Khartum am 3. Juni mit brutaler Gewalt räumten. Mehr als 100 Menschen starben. Der Traum eines friedlichen Machtwechsels schien zerstört. Dennoch konnten sich das Militär und die zivile Opposition zu einer Einigung durchringen, die ein gemeinsames Regieren für die nächsten drei Jahre vorsah.

Für die Frauen Sudans ging es in der Protestbewegung um mehr, als nur um einen politischen Wechsel, erklärt die Künstlerin Alaa Satir. «Wir wehren uns nicht nur gegen ein politisches System, sondern auch gegen eine Gesellschaftsordnung, die immer gegen uns Frauen war.» Denn unter der konservativ-islamischen Regierung von Al-Baschir haben Frauen viel Unterdrückung und Benachteiligung erlebt. Auch während der Proteste schilderten viele Frauen, wie schwierig es war, in ihren Familien durchzusetzen, dass die demonstrieren gehen durften.

Die 29-jährige Satir unterstützte die Proteste mit ihrer Kunst. «Es war eine Waffe», sagt sie. Auf Mauern rund um das Protestlager malte sie etwa die Figur einer Frau mit einer Sprechblase: «Frauen, bleibt standhaft, dies ist die Revolution der Frauen». Die Werke von Satir und anderen Künstlern sind von den Geschehnissen im Sudan nicht wegzudenken - sie dokumentierten und befeuerten die Proteste und schufen Darstellungen, die um die Welt gingen.

Sie sei voller Traurigkeit über die Demonstranten, die mit ihrem Leben bezahlen mussten, sagt Satir. Zugleich sei sie aber froh, dass der Sudan dies durchgemacht habe. «So haben wir gemerkt, wie sehr wir unser Land lieben. Und es hat uns als Nation zusammengeschweißt.»

Die neue Übergangsregierung, geführt von dem Ökonom Abdullah Hamduk, verleiht vielen Bürgern vorsichtigen Optimismus. «Es wurden schon einige gute Reformen eingeführt», sagt die Musikerin Islam al-Beiti, die auch an den Demonstrationen teilnahm. Etwa löste die Regierung jüngst die Partei von Al-Baschir auf. Doch sozialer Wandel werde am schwierigsten sein, sagt die 25-jährige Jazzmusikerin. «Jede sudanesische Frau kämpft ihr Leben lang mit der Gesellschaft.» Zwar können die Menschen im Sudan schon viel offener ihre Meinung sagen. Doch ein wirkliches Umdenken, gerade wenn es um Frauen und Frauenrechte gehe, werde lange dauern, meint sie.

Und um zu zeigen, dass sie es mit dem Wandel ernst meint, muss die neue Regierung 2020 mit dem alten Regime abschließen. Die Künstlerin Satir wünscht sich vor allem, dass die Verantwortlichen für das Massaker an den Demonstranten zur Rechenschaft gezogen werden. Vor allem muss sich die Regierung auch der wirtschaftlichen Misere - der Auslöser für die Proteste - widmen. Ein politischer Wechsel allein reicht nicht aus.

«Ich hoffe, dass die Übergangsregierung es schafft, einen demokratischen Sudan aufzubauen, trotz der vielen Herausforderungen, die bevorstehen», sagt Protest-Ikone Alaa Salah.

Veröffentlicht durch die Deutsche Presse-Agentur. Zu finden online unter anderem im Grenz-Echo.

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