Flucht vor dem Diktator: Warum Gambier nach Deutschland kommen
Von Gioia Forster, dpa
Einst floh Sana-Bairo Sabally vor dem Regime in Gambia – einem Regime, dem er zur Macht verholfen hatte. In der Bundesrepublik bekam er Asyl. Immer mehr Menschen aus dem westafrikanischen Land wollen seinem Beispiel folgen - doch nur wenigen gelingt das.
Karlsruhe (dpa) - Vor 20 Jahren organisierte eine Hand voll Soldaten einen Putsch in dem kleinen westafrikanischen Staat Gambia. Einer wurde zum Präsidenten, der bis heute das Land mit eiserner Faust regiert. Seinen Vizepräsidenten, Sana-Bairo Sabally, steckte er kurz nach dem Staatsstreich ins Gefängnis. Nach neun Jahren Haft floh Sabally nach Deutschland. Heute sitzt der 50-Jährige in der Küche einer Flüchtlingsorganisation in Karlsruhe.
«Ich wollte mein Land nicht verlassen, aber ich hatte keine Wahl», sagt Sabally. Der Gambier erzählt, mit dem Coup 1994 hätten die Soldaten die Korruption in ihrem Land beenden wollen. Doch als es darum ging, die Macht wieder abzugeben, waren Sabally und der Präsident, Yahya Jammeh, unterschiedlicher Meinung. «Eines Tages kam ich ins Büro und wurde von den Leibwächtern Jammehs verhaftet.»
Ein halbes Jahr später wurde er von einem Gericht verurteilt, erinnert sich Sabally. «Mir wurde vorgeworfen, Jammeh umbringen zu wollen.» Er schildert seine Geschichte sachlich, als hätte er mit der Vergangenheit abgeschlossen. «Kurz nach meiner Entlassung wurde ein Attentat auf mich verübt - ich wusste, ich bin in Gambia nicht mehr sicher.» Über Senegal floh er nach Deutschland, wo er Asyl bekam.

«Seit 21 Jahren herrscht in Gambia ein Regime, dass mit Demokratie nichts zu tun hat», sagt Gambia-Experte Heinrich Bergstresser. Er ist freier Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Die Diktatur lasse kaum eine Opposition zu, Kritiker und Journalisten würden verhaftet oder verschwänden.
«In dem Land gibt es keine Sicherheit», sagt Sabally. «Damit meine ich nicht nur, dass man nachts nicht schlafen kann – es gibt auch keine finanzielle Sicherheit.» Ohne Unterstützung für die Regierung Jammehs sei es schwer, einen Job zu finden. Laut Bergstresser fliehen die meisten Menschen aus wirtschaftlichen Gründen. Sabally sagt: «Für die Jugend ist die einzige Hoffnung, das Land zu verlassen.»

Die Zahl der Gambier, die zu dem selben Schluss kommen, ist in den vergangenen Jahren drastisch angestiegen. 2014 stellten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 1947 Menschen aus Gambia in Deutschland einen Asylantrag. Zwei Jahre zuvor waren es den Angaben zufolge noch 244.

«In den letzten Jahren hat sich die Menschenrechtslage in Gambia stark verschlechtert», sagt Sabrina Mahtani. Sie ist Westafrika-Expertin bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Mahtani erklärt den Anstieg der Flüchtlingszahlen unter anderem mit immer erdrückenderen Gesetzen, die Jammeh verabschiedet hat, etwa gegen Homosexualität oder die Presse- und Meinungsfreiheit.
Nach Angaben des BAMF sind die meisten der gambischen Flüchtlinge in Deutschland junge Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren. «Wir glauben, Europa ist der Himmel, aber es ist genau anders rum», sagt Sabally. Sie alle würden denken, in Deutschland könne man Geld verdienen. Doch die Sprachbarriere sei groß, das Leben hart.
Einige verdienten ihr Geld mit dem Drogenhandel, sagt Sabally - Geld, dass wieder nach Hause geschickt wird, um weiteren Angehörigen die Flucht zu ermöglichen. Laut Bergstresser existiert in Europa ein Netzwerk, in dem auch Gambier tätig sind: Drogen kommen aus Südamerika in Westafrika an, werden dann nach Europa transportiert. Dafür benötigten sie «Brückenköpfe» in Europa - oft Flüchtlinge.
Sabally hält sich meistens von seinen Landsmännern fern, erzählt er. Er vertraut nur seinen engsten Freunden. Jetzt absolviert er eine Berufsausbildung - und will die jüngere Geschichte Gambias in einem Buch festhalten.
In sein Geburtsland zurück – das möchte Sabally nicht. «Solange Jammeh an der Macht ist, kann ich nicht heimkehren.» Aber der 50-Jährige hat zumindest ein neues Zuhause. Für andere Gambier sind die Aussichten weniger gut: Im vergangenen Jahr haben laut BAMF nur zwei Prozent der Asylbewerber von dort einen Schutzstatus in Deutschland bekommen. Sabally ist einer der wenigen Gambier, die bleiben dürfen.
Veröffentlicht von der Deutschen Presse-Agentur
Zu sehen unter anderem in den Ruhr Nachrichten